Nun geht die lange erwartete Warn-App an den Start. Um Nutzer zu überzeugen, wäre ein Begleitgesetz sinnvoll, argumentiere ich in diesem Leitartikel.
Die Lage sei „dynamisch“, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn zu Beginn der rasanten Corona-Ausbreitung in Deutschland in fast jedes Mikrophon, vor das er trat. Manchmal sagte er: „sehr, sehr dynamisch“. Mit diesen Worten ist auch Spahns Umgang mit der lange erwarteten Corona-Warn-App treffend beschrieben. Zuerst wollte der Minister es Behörden ermöglichen, die Standortdaten von Handys potenzieller Kontaktpersonen bei den Netzbetreibern abzufragen. Der Plan geriet in die Kritik und scheiterte, Spahn schwenkte um. Es sollte dann eine freiwillige App werden, bei der die Nutzerdaten zentral gespeichert worden wären. Wieder gab es Kritik, wieder scheiterte der Plan. Nun kommt eine freiwillige App mit dezentraler Datenspeicherung. An diesem Dienstag wird sie von der Bundesregierung vorgestellt und zur Nutzung freigeschaltet. Der Weg bis hierhin ist an Dynamik kaum zu überbieten.
Es ist gut, dass es zum mehrmaligen Umschwenken kam, denn die jetzt gefundene App-Lösung ist in Sachen Datenschutz die beste Option. So basiert die Kontaktverfolgung auf zufällig generierten, pseudonymen Identifikationsnummern, die sich regelmäßig ändern. Die Betreiber erfahren nicht, wer sich hinter der ID verbirgt und wo sich Nutzer aufhalten. Auch in Sachen Transparenz gab es Verbesserungen: Der Quellcode der App ist im Netz offen einsehbar und ermöglicht es Datenschützern und IT-Experten, die Funktionsweise der Anwendung unabhängig zu überprüfen. Das Fazit fällt auf breiter Front positiv aus, auch mögliche Hintertürchen wurden nicht gefunden. Von einer Überwachungs-App kann also keine Rede sein. Und doch bleiben Zweifel an der rechtlichen Grundlage, auf der die App betrieben wird.
Die Bundesregierung lehnt ein Begleitgesetz zur App strikt ab – doch ein solches wäre wünschenswert. Justizministerin Christine Lambrecht verweist auf „die allgemeinen Vorschriften der Datenschutzgrundverordnung“, um zu begründen, warum es „keine Veranlassung für ein spezielles App-Gesetz“ gebe. Dabei gibt es eine ganze Reihe von Veranlassungen: Eine klare gesetzliche Regelung wäre sinnvoll, um Umfang und Grenzen der Datenverarbeitung zu regeln, um die zulässigen Zwecke festzulegen, um die Freiwilligkeit der App zu jeder Zeit sicherzustellen und um die Anwendungsdauer klar zu begrenzen. Die Warn-App wurde zur Bekämpfung der Pandemie entwickelt. Sobald Corona überwunden ist, muss auch die App wieder verschwinden.
Ein Begleitgesetz hätte einen weiteren Vorteil: Es würde die parlamentarische Kontrolle stärken. Angenommen den Fall, es kommt zu einer neuen Corona-Welle und das Virus breitet sich wieder stark aus. Der Druck auf die Politik würde wachsen, die App-Nutzung doch zur Pflicht zu machen. Wer stellt sicher, dass es nicht dazu kommt? Wer verhindert, dass Nutzer Vorteile bekommen, man etwa nur mit App ein Restaurant besuchen darf? Bisher lehnt die Bundesregierung dies ab: keine Belohnungen für diejenigen, die die App aktivieren, und keine Nachteile für diejenigen, die dies nicht tun, beteuert Lambrecht. Bisher sind das aber nur Lippenbekenntnisse. Eine gesetzliche Grundlage könnte all diese Fragen klar regeln – und das Vertrauen der Nutzer stärken.
Der Erfolg der App hängt davon ab, wie viele Menschen bereit sind, diese aktiv zu nutzen. Nur wenn viele Menschen mitmachen, wird es möglich sein, Kontakte künftig besser nachzuverfolgen. Damit es dazu kommt, müssen die Bürger der App uneingeschränkt vertrauen können. Die Bundesregierung versucht es mit großem Tamtam: vier Bundesminister, die Digitalisierungsbeauftragte, hohe Vertreter der Entwicklerfirmen und des Robert-Koch-Instituts sollen bei der Präsentation am Dienstag auflaufen und den Startschuss geben. Eine große Werbekampagne soll folgen. Ein App-Gesetz wäre sinnvoller, um Vertrauen zu gewinnen.
Der Leitartikel ist hier im Original auf mittelbayerische.de zu finden.