Anders hochfahren als es bisher war

In der aktuellen Phase der Corona-Krise muss es Priorität haben, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Dabei dürfen nicht alte Strukturen gestärkt, sondern neue müssen geschaffen werden, schreibe ich in diesem Kommentar. 

In der ersten Phase der Krise herrschte ungewohnte Harmonie zwischen den Regierungspartner CDU, CSU und SPD. Bei der Aufhebung der Schuldenbremse, bei Milliardenhilfen für die Wirtschaft, bei Erleichterungen der Kurzarbeit oder vorübergehenden Grenzschließungen – bei all dem gab es kaum Konflikt in der großen Koalition. Nun befinden wir uns in einer neuen Krisenphase und zurück sind die Kontroversen. Konkret zeigen sie sich im harten Ringen der Koalitionäre um ein Konjunkturpaket. Im Kern soll das Paket dazu dienen, die Wirtschaft im Land anzukurbeln. Dieses Anliegen ist wichtig und richtig. In der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg muss die Priorität politischen Handelns nun darauf ausgerichtet sein, soziales und ökonomisches Leben wieder zu ermöglichen, Arbeitsplätze und Existenzen zu sichern, Wohlstand zu gewährleisten, gute Chancen und Zukunftsperspektiven für junge Generationen zu schaffen. Kurzum: Es geht jetzt darum, das System wieder hochzufahren. Doch dieses Hochfahren darf nicht bedeuten, möglichst schnell zurück zum Zustand vor der Krise zu gelangen.

,Die Krise zeigt die Probleme unseres Systems wie unter einem Brennglas‘ – diesen Satz hört man so oder so ähnlich in diesen Tagen häufig. Doch so abgedroschen diese Worte schon sind, so richtig sind sie zugleich auch. Tatsächlich zeigt Corona Missstände auf, die vorher schon bestanden und nun überdeutlich sichtbar sind: die schlechte Bezahlung von Menschen in systemrelevanten Berufen, die Probleme eines rein profitorientierten Gesundheitswesens, die immer noch vorhandenen Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen, die besorgniserregende, wachsende soziale Ungleichheit und nicht zuletzt eine Klimakrise, die in der Corona-Zeit zwar in den Hintergrund rückte, aber als gigantische Herausforderung nach wie vor existiert.

Wenn wir das System nun wieder hochfahren, müssen diese Missstände behoben werden. Das sind enorme Aufgaben, keine Frage. Dabei dürfen sich Verhandlungen im Koalitionsausschuss durchaus in die Länge ziehen. Doch am Ende ist nicht entscheidend, dass es zu schneller Einigung kommt, sondern dass die beschlossenen Schritte nachhaltig, sozial sowie ökologisch gerecht sind und langfristige Perspektiven in den Blick nehmen.

Ein zentraler Streitpunkt, über den die Koalitionäre dem Vernehmen nach lange rangen, macht wenig Hoffnung: die Kaufanreize für Autos. Denn milliardenteure Prämien aus Steuergeldern würden vor allem Besserverdienern zugutekommen und eine nachhaltige Mobilitätswende blockieren, statt sie zu befördern. Sie in sozialer, ökologischer und ökonomischer Hinsicht nicht sinnvoll. Dass sie dennoch einen prominenten Stellenwert in den Verhandlungen eingenommen haben, ist dem unverschämten Auftreten der Autobranche und ihrer Fürsprecher geschuldet.

Strittig war auch die Übernahme kommunaler Altschulden. Als größter öffentlicher Investor müssen die Kommunen in der Krise gestärkt werden. Sie sind es, die Kitas ausbauen, Schulen energetisch sanieren, Solaranlagen auf öffentlichen Gebäuden errichten und den Ausbau des ÖPNV vorantreiben können. Genau solche Investitionen braucht es nun vor Ort, denn sie schaffen soziale und ökologische Anreize. Mit klammen Kassen ist das aber nicht möglich. Bund und Länder tun deshalb gut daran, die Kommunen zu stärken und von Lasten zu befreien.

Die Wunschlisten beider Koalitionspartner waren vor den Verhandlungen lang und in der Summe zu teuer. Weil sich nicht jede Maßnahme finanzieren lässt, ist es umso wichtiger, dass jeder Schritt einem klaren Kompass folgt und bestehende Systemfehler nicht wiederholt. Die Corona-Krise hat offen zutage gefördert, an welchen Stellen das System krankt. Hier jetzt umzusteuern, ist das Gebot der Stunde und eine Verantwortung für kommende Generationen.

Foto: photoheuristic.info Lizenz 

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