Maut: Keine Schonung mehr für Scheuer

Die Corona-Krise hat dem angeschlagenen Verkehrsminister eine Verschnaufpause verschafft. Mit Horst Seehofers Zeugenaussage im U-Ausschuss ist das Thema wieder im Fokus. Das ist gut so.

Es gibt nur wenige Bundesminister, für die die Corona-Krise eine Erleichterung brachte. Für die meisten ist das Gegenteil der Fall. Andreas Scheuer aber ist einer der wenigen Glücklichen. Denn während die gesamte Bundespolitik vom virusbedingten Ausnahmezustand in Atem gehalten wird, geriet ein Thema völlig aus dem Blick: das Debakel um die Pkw-Maut und der massive Druck, der auf dem Verkehrsminister lastet. Fast schien vergessen, dass Scheuer einen laufenden Untersuchungsausschuss am Hals hat. Nach wie vor stehen gravierende Vorwürfe im Raum: eine verfehlte Risikoeinschätzung in Scheuers Ministerium bei der Vorbereitung der Maut, verzockte Steuergelder in dreifacher Millionenhöhe und mögliche Verstöße gegen das Haushalts-, Vergabe- und Europarecht. Obendrein könnte Scheuer das Parlament belogen haben. All das wiegt schwer, doch durch Corona hat sich der politische Fokus verschoben. Scheuer konnte im Schatten der Krise durchatmen. Diese Verschnaufpause muss ein Ende haben, denn Scheuers Schuld in der Maut-Affäre ist längst noch nicht ausgeräumt.

Nun kann der Untersuchungsausschuss wieder tagen, zum Glück. In seiner zweiten Sitzung nach der Zwangspause war gestern Innenminister Horst Seehofer als prominenter Zeuge geladen. Als früherer CSU-Chef und bayerischer Ex-Ministerpräsident hatte er die sogenannte „Ausländermaut“ 2013 auf Bundesebene in den damaligen Koalitionsvertrag verhandelt und auf Landesebene im CSU-Programm verankert. Seehofer hat damit die Grundlagen für das Projekt gelegt, das sechs Jahre später, 2019, vor dem Europäischen Gerichtshof krachend scheiterte. Welche Mitschuld hat Seehofer an dem Desaster? Muss Scheuer am Ende die Suppe auslöffeln, die Seehofer ihm einbrockte? Nein, so leicht kommt Scheuer nicht davon. Schließlich wurden unter seiner Leitung die fragwürdigen und riskanten Verträge mit den Betreiberfirmen ausgehandelt, die den Bund nun Hunderte Millionen an Schadensersatzforderungen kosten können. Dafür muss der amtierende Verkehrsminister gerade stehen.

Die Frage nach Seehofers Mitverantwortung ist damit freilich noch nicht beantwortet. Mitte Februar hatte Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer Seehofer schwer belastet. Dieser habe „sehenden Auges“ eine „europarechtliche Unmöglichkeit“ in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt, sagte Ramsauer vor dem U-Ausschuss. Diese Vorwürfe wies Seehofer gestern nonchalant von sich. Er stehe zu dem, was damals verhandelt worden ist, und würde die Maut heute wieder verfolgen, sagte er vor dem Gremium. Seehofer kann sich diese Unbeirrbarkeit getrost leisten, schließlich ist er nur Zeuge und nicht Hauptbeschuldigter im Verfahren. Entsprechen Seehofers Aussagen der Wahrheit, wovon man ausgehen muss, dann spricht aus ihnen zumindest große Naivität. Denn dass die Maut von Grund auf falsch konzipiert war, hat das EuGH-Urteil eindrücklich belegt.

Unter dem Strich wird Seehofers Aussage kaum einen Beitrag dazu leisten, Scheuers Schuld aufzuklären. Dafür liegen seine Weichenstellungen zu weit in der Vergangenheit. Es ist nun die Aufgabe der Fraktionen und Fachpolitiker im Ausschuss, gründliches Aktenstudium zu betreiben und treffsichere Fragen zu stellen. Interessant sind dabei besonders jene Zeugen, die unter Scheuers Ägide an der Maut beteiligt waren, und schließlich der Minister selbst. Immer wieder werden haarsträubende Details bekannt, zuletzt etwa Scheuers gelöschten Handydaten. Trotz solcher Hürden darf der Ausschuss nicht locker lassen. Für Scheuer darf es keine Schonung mehr geben.

Für eine Sache war Seehofers Auftritt doch gut: Durch seine politische Prominenz ist die Maut-Affäre wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Auch wenn die Corona-Krise noch andauert, darf der Verkehrsminister sich nicht mehr wegducken.

Foto: Olaf Kosinsky / Lizenz:  CC BY-SA 3.0-de

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