Ramelow und Söder – beide überdrehen

Thüringens Landeschef Bodo Ramelow erntet für seinen Corona-Kursschwenk massive Kritik, besonders von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Beides ist überzogen: Ramelows Vorpreschen und Söders Rüge.

Die Corona-Politik der vergangenen Tage war vor allem eines: laut und überzeichnet. Da war zuerst der Kursschwenk von Thüringens Ministerpräsident am Wochenende. Bodo Ramelow kündigte öffentlichkeitswirksam an, die landesweit geltenden Corona-Schutzmaßnahmen ab 6. Juni aufheben und die Verantwortung für lokale Einschränkungen den Kommunen übertragen zu wollen. Der Linke-Politiker stürmte damit an die Spitze der Lockerungsfraktion unter den Ministerpräsidenten, die die Beschränkungen des öffentlichen Lebens für nicht mehr angemessen halten. Prompt hagelte es Kritik. Ramelows Vorpreschen sorgte bundesweit für Aufregung, sogar aus dem eigenen Kabinett wehte dem Landeschef Gegenwind entgegen.

Am lautesten aber war die Kritik aus Bayern. Ministerpräsident Markus Söder sprach von einem „fatalen Signal“, wenn die Politik den Menschen eine „falsche Normalität“ einrede und „das ganze Regelwerk“ außer Kraft setze. Und der bayerische Innenminister Joachim Herrmann hält Ramelows Vorstoß für „wirklich nicht zu verantworten“ und „ausgesprochen unklug“. Das sind deutliche Worte in Richtung des nördlichen Nachbarlands. Dabei schießen beide über das Ziel hinaus: Ramelow mit seinem Vorpreschen und Söder mit seinen Rügen.

Zuerst zu Ramelow: Schon am Samstag hatte der thüringische Landeschef großspurig das Ende der allgemeinen Corona-Beschränkungen angekündigt, allerdings ohne Details zu nennen. Erst gestern legte er die neue Strategie seinem rot-rot-grünen Kabinett vor, die Beschlüsse dazu wurden noch einmal vertagt. Zwischen dem ersten Aufschlag und konkreten Schritten liegt also viel Zeit für Spekulationen. Keine Mindestabstände mehr, kein Mund-Nase-Schutz mehr – all das wurde in Ramelows Vorstoß hineininterpretiert. Den Spielraum für solche Mutmaßungen hat der Ministerpräsident selbst eröffnet. Mit klarer Linie hat das nicht viel zu tun. Sinnvoller wäre es gewesen, gleich einen ausgereiften Plan vorzustellen. Das hätte der ganzen Republik viel Aufregung und Kaffeesatzleserei erspart.

Problematisch ist nicht nur das Timing, sondern auch der Grundgedanke von Ramelows Strategie. „Von Ver- zu Geboten, von staatlichem Zwang hin zu selbstverantwortetem Maßhalten“, so beschreibt er sein Motto. Das klingt nett, ist aber in der Praxis wenig erfolgversprechend. Schon beim Maskentragen hat sich gezeigt, dass es nicht ausreicht, auf reine Eigenverantwortung zu setzen. Zu viele Menschen haben sich nicht an die Empfehlung gehalten, bis das Tuch schließlich zur Pflicht wurde. Man kann es durchaus bedauern, dass Schutzmaßnahmen ohne harte Regel nicht funktionieren. Doch es ist eine Tatsache, vor der Ramelow die Augen verschließt.

Nun zu Markus Söder: Auch er überdreht, wenn auch in die entgegengesetzte Richtung. Will der Thüringer mit Lockerungsübungen reüssieren, setzt sich der Bayer als Verteidiger der harten Anti-Corona-Politik in Szene. Söders Kritik kam schnell und scharf, noch bevor klar war, was Ramelow konkret vorhat. Bayerns Ministerpräsident verstärkt damit nicht nur den Eindruck, sich mit seiner strikten Linie bundesweit profilieren zu wollen. Er urteilt zugleich das Vorgehen eines Amtskollegen ab, was außerhalb seiner Zuständigkeit liegt. Söders Rüge grenzt an Bevormundung.

Es liegt in der Natur des Föderalismus, dass unterschiedliche Bundesländer unterschiedlich handeln können. Und es liegt in der Natur des Virus, dass unterschiedliche Regionen unterschiedlich stark befallen sind. Dass Thüringen mit seinen niedrigen Infektionszahlen weiter lockert, ist durchaus berechtigt. Und es zwingt Bayern nicht dazu, gleichzuziehen. Ginge es nach Söder, sähe der Föderalismus offenbar so aus: Bayern gibt den Takt vor und die anderen 15 Länder reihen sich ein. Aber mal Hand aufs Herz: Das kann wirklich nicht die Lösung sein.

Foto: Bundesrat / Lizenz

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