Dr. Petra Lütz macht laut Prüfern zu viele Hausbesuche. Nun drohen hohe Strafzahlungen – und politischer Streit.
Kann es ein Fehler sein, alte, kranke und sterbende Menschen ärztlich zu betreuen? Für Petra Lütz stellt sich diese Frage eigentlich nicht. Sie tut es jeden Tag. Die Ärztin aus Rohr im Kreis Kelheim versorgt neben ihren Praxisterminen täglich auch Patienten in den nahegelegenen Altenheimen, darunter viele Palliativfälle. Finanziell lohne sich das kaum, sie tue es aus Überzeugung, sagt Lütz. Und trotzdem muss sie sich mit der Frage herumschlagen, ob sie ihre Betreuung so in Zukunft weiterführen kann. Denn die Prüfungsstelle Ärzte Bayern hält ihre Arbeit für unwirtschaftlich. Es drohen Strafzahlungen von vielen tausend Euro. Die Kosten könnten zum Grund werden, warum die Ärztin ihre Hausbesuche einschränken muss.
Lütz ist für die Altenheime im niederbayerischen Rohr und Pattendorf zuständig. In dringenden Fällen, etwa bei Atemnot, hohem Fieber, offenen Wunden, rückt sie auch spät abends, an Wochenenden oder im Urlaub aus. „Es geht mir darum, diese Menschen zu versorgen.“ Lütz nennt es eine „ethische Frage“. Gerade auf dem Land, wo Ärzte oft rar sind, bleibt viel Arbeit an Einzelnen hängen. Doch diese hohe Beanspruchung spielt bei der Kassenprüfung offenbar keine Rolle.
Vorwurf der Unwirtschaftlichkeit
Die Prüfungsstelle Ärzte Bayern, die von Kassenärztlicher Vereinigung und bayerischen Krankenkassen gebildet wird, untersucht die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung im Freistaat. Sie geht dabei von einem Durchschnittswert von Hausbesuchen pro Arzt aus. Bei der Berechnung dieses Werts werden allerdings auch Ärzte berücksichtigt, die etwa weniger Heimpatienten betreuen oder Stadtärzte mit kleinerem Einzugsgebiet.
In Rohr gibt es neben Lütz keinen anderen Arzt, der auf Palliativversorgung spezialisiert ist. Der zweite Mediziner im Ort ist Internist und übernimmt laut Lütz deutlich weniger Heimbesuche als sie. Deswegen übersteigt ihre Zahl den Durchschnitt. Der Vorwurf der Prüfer: Die vielen Hausbesuche sind zu teuer, sie könnten stark reduziert werden. Konkret: Lütz besucht einen Heimpatienten im Schnitt 3,5 Mal pro Vierteljahr. Für sie wäre es ein Unding, die Betreuung gerade bei Alten und Pflegebedürftigen zu reduzieren. „Das ist genau genommen jetzt schon irre wenig.“
Konkret geht es um das dritte Quartal 2017. Die Ärztin hat in diesem Zeitraum 169 Altenheim-Bewohner betreut und 585 Hausbesuche gemacht. Mehr als die Hälfte davon hat die Prüfungsstelle nachträglich nicht anerkannt. Die Strafzahlungen würden sich auf rund 7600 Euro belaufen, nur für 3/2017. Ungewöhnlich ist, dass Lütz‘ Abrechnungen vor diesem Quartal nie beanstandet wurden. Seit 2006, seit sie die Praxis in Rohr übernahm, habe sich an der Zahl ihrer Hausbesuche nichts verändert, sagt Lütz. Ihre Arbeit sei immer als wirtschaftlich eingestuft worden. „Es ist mir völlig unverständlich.“
Für die folgenden Quartale droht das Gleiche. Rechnet man das Ganze bis heute fort, würde ein hoher fünfstelliger Betrag an Rückzahlungen stehen. Dafür, dass die Ärztin ihre Patienten regelmäßig versorgt hat. Für Lütz eine schreiende Ungerechtigkeit.
Lütz zieht vor den Beschwerdeausschuss
Die wollte sie nicht auf sich sitzen lassen und zog am 18. Dezember 2019 vor den Beschwerdeausschuss der Ärzte Bayern. Das Ergebnis ihres Verfahrens liegt schon vor, doch bislang wurde es ihr nicht mitgeteilt. Laut Katrin Blaschek, Leiterin der Prüfungsstelle Ärzte Bayern, werden pro Sitzung viele Verfahren verhandelt und die Bescheide im Nachgang abgearbeitet. Dafür habe die Behörde laut Gesetz mehrere Monate Zeit. „Die gesetzlichen Fristen halten wir vollkommen ein“, sagt Blaschek. „Wir gehen auch bei Frau Lütz davon aus, dass wir diese Frist deutlich unterschreiten werden. Nichtsdestotrotz dauert es noch ein paar Tage.“
Unterdessen schlägt der Fall auf politischer Ebene Wellen. Lütz hat sich an die Gesundheitsministerien in Bayern (StMGP) und beim Bund (BMG) gewandt. Auf Nachfrage der Mittelbayerischen weist das BMG darauf hin, dass die Gesetzeslage schon zugunsten der Vertragsärzte geändert worden sei. Konkret geht es um das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), das am 11. Mai 2019 in Kraft trat. Damit seien „Änderungen zur Erhöhung der Planungssicherheit und zur Entlastung der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfungen“ wirksam geworden, heißt es aus dem BMG. Das Problem dabei: Diese Änderungen greifen nicht rückwirkend. Bei Prüfungen aus früheren Jahren, wie in Lütz‘ Fall, werden die damals geltenden Regeln angewandt.
Ministerien sehen noch keinen Handlungsbedarf
Das StMGP will erst den Bescheid des Beschwerdeausschusses und die Stellungnahme im rechtsaufsichtlichen Verfahren abwarten. „Erst dann können wir der Frage nachgehen, ob der vorliegende Sachverhalt Rückschlüsse auf möglicherweise nicht ausreichend klare bundesrechtliche Vorschriften zulässt“, teilt ein Ministeriumssprecher mit. Auch die Frage, ob die Änderungen durch das TSVG ausreichen, um Ärzten mehr Planungssicherheit zu verschaffen, will das StMGP nicht beantworten. Es müsse abgewartet werden, ob die Auseinandersetzungen künftig merklich zurückgehen. Kurzum: Die Ministerien sehen derzeit keinen Handlungsbedarf.
Schwierige Lage von Landärzten
Die dahinterliegende Frage, ob Landärzten das Leben unnötig schwer gemacht wird, ist freilich nicht beantwortet. Das StMGP beteuert jedenfalls, es sei „ein wichtiges Anliegen“, Ärzte im ländlichen Raum zu unterstützen.
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Foto: Praxis Lütz
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