Die SPD schlägt zu Jahresbeginn versöhnliche Töne an. Ist dem zu trauen? Leise Zweifel gibt es schon.
Das Bedürfnis nach Harmonie in der SPD ist zum Jahresauftakt groß. Die Erinnerungen an die Härten von 2019 stecken den Sozialdemokraten noch tief in den Knochen: Der Rücktritt von Andrea Nahles, die schier endlos scheinende Suche nach einer neuen Parteispitze, die 15,8-Prozent-Schlappe bei der Europawahl. Und: Kein einziges Mal kam die SPD im vergangenen Jahr in Umfragen auf 20 Prozent, nicht einmal annähernd. Nach all diesen Tiefpunkten und inneren Zerwürfnissen bemühte sich die SPD-Fraktion bei ihrer Klausur zum Jahresauftakt gestern und vorgestern sichtlich darum, versöhnliche Töne anzuschlagen. Geläutert ins neue Jahr – diesen Eindruck will man vermitteln.
Fraktionschef Rolf Mützenich, für seine Ruhe und Besonnenheit bei den Genossen hochgeschätzt, nannte Partei und Fraktion dann auch eine „Einheit“. Man höre aufeinander. Den Verdacht neuen Zwiespalts will man auf keinen Fall aufkommen lassen. Nur um die Inhalte sollte es bei der Klausur gehen, allen voran um die deutsche EU-Ratspräsidentschaft in der zweiten Jahreshälfte, aber auch um Klima- und Wirtschaftspolitik, um den Sozialstaat und die Arbeit von morgen. Aber ist dieser neuen Harmonie zu trauen? Leise Zweifel daran kommen bereits auf.
Ist der neuen Harmonie in der SPD zu trauen? Leise Zweifel daran kommen bereits auf.
Denn intern gibt es nach wie vor Skepsis gegenüber dem Kurs des neuen Führungsduos. Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans streuten zuletzt munter Forderungen in die Welt: So wollen sie Eigentümer von Grundstücken bei starken Wertsteigerungen mit einer Steuer zur Kasse bitten, ein generelles Tempolimit auf Autobahnen einführen, Spitzenverdiener mit höheren Rentenbeiträgen belegen. Ach ja, und viel mehr und viel höhere staatliche Investitionen, etwa in Infrastruktur und Schulen, wollen sie sowieso. Das ist allerhand.
Bei so viel Wollen wird auch manch einer in der Fraktion und auf Ministerposten skeptisch. Wer soll das alles umsetzen? Vieles davon wird mit dem Koalitionspartner Union ohnehin nicht zu machen sein. Mützenich verwies ganz zurecht auch darauf, dass es noch offene Baustellen aus dem vergangenen Jahr gibt: Weder die hart erkämpfte Grundrente, noch der Kohleausstieg bis 2038 sind schon in konkrete Gesetze gegossen. Die Skepsis gegenüber dem ungezügelten Tatendrang des Spitzenduos ist also durchaus berechtigt. Es fehlt den Neuen noch an klarer Linie, an klarem Konzept. Die Bürger wählen eine Partei, zumal eine in der Regierung, schließlich nicht fürs Fordern, sondern für konkrete politische Schritte.
Die Bürger wählen eine Partei, zumal eine in der Regierung, schließlich nicht fürs Fordern, sondern für konkrete politische Schritte.
Ein anderer Schritt ist bei all dem weit in den Hintergrund gerückt: der Austritt aus der großen Koalition. Esken und Walter-Borjans waren im Rennen um den Parteivorsitz noch kantig aufgetreten: Raus aus der Groko, sollte die Union nicht zu Nachverhandlungen bereit sein. Konkret verhandelt wurde bislang noch nicht. Das erste Treffen mit dem Koalitionspartner vor Weihnachten diente nur dem Kennenlernen. Und trotzdem treten die neuen Chefs schon jetzt gemäßigter auf. Beispiel Mindestlohn: Man fordert nicht mehr eine sofortige Erhöhung auf 12 Euro, sondern nur noch einen „substanziellen“ Anstieg. Also plötzlich ganz zahm?
Politisch gesehen ist der gemäßigte Kurs der Parteichefs sinnvoll. Die Partei würde von einem Groko-Aus in der jetzigen Situation nicht profitieren. Auch für Deutschland ist eine stabile Regierung wichtig, besonders in einem Jahr, in dem man mit der Ratspräsidentschaft neue Verantwortung auf EU-Ebene übernimmt. Das Problem ist allerdings, dass Esken und Walter-Borjans mit ihren steilen Forderungen hohe Erwartungen geweckt haben. An denen müssen sie sich messen lassen – von den Wählern wie von den eigenen Leuten. Die neue Harmonie steht auf wackligem Boden.
Foto: SPD Schleswig-Holstein