Brexit hält Ostbayern in Atem

Das anhaltende Brexit-Chaos hinterlässt Spuren bei Ostbayerns Wirtschaft. Unternehmen stellen sich auf den „Worst Case“ ein. Und manche EU-Politiker sehen auch bei einem weichen Brexit noch große Baustellen. 

Die verfahrene Situation Großbritanniens in den Verhandlungen über den EU-Austritt lässt Ostbayern nicht kalt. Während sich Premierminister Boris Johnson und das britische Parlament auch in dieser Woche nicht über den Brexit-Zeitplan einig werden konnten, kommt bei der ostbayerischen Wirtschaft vor allem eines an: Ungewissheit. Besonders den exportorientierten Unternehmen fehlt es an Planungs- und Rechtssicherheit im Handel mit Großbritannien. Exporte in das Vereinigte Königreich werden zurückgefahren, Investitionen liegen auf Eis, Zollfragen sind ungeklärt.

Drei Jahre nach dem Brexit-Referendum ist in London wieder alles offen – Aufschub, Neuwahlen, zweites Referendum? Nach den jüngsten Beratungen im Unterhaus sieht es nun nach einer weiteren Verlängerung der Austrittsfrist aus. Das von Johnson angepeilte Austrittsdatum am 31. Oktober ist nach Einschätzungen vieler EU-Politiker nicht mehr zu halten.

Was bedeutet der weitere Aufschub? „Die Ungewissheit für die heimische Wirtschaft würde andauern“, sagt Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP) im Europäischen Parlament. Europa ist aus Sicht des niederbayerischen CSU-Politikers weiterhin einer „unerträglichen Hängepartie“ ausgesetzt. „Wir brauchen deshalb endlich Klarheit von Großbritannien, was sie wollen.“

Vertrauen der Wirtschaft in Großbritannien schwindet

Dabei geht aus Sicht der Wirtschaft die Klarheit zusehends verloren – und damit auch die Hoffnung auf einen geregelten Austritt. „Bei einer Verlängerung des Austrittstermins können wir aus der Erfahrung der letzten drei Jahre leider nicht davon ausgehen, dass dann ein Brexit mit Deal kommt“, sagt Dr. Jürgen Helmes.

Der Hauptgeschäftsführer der IHK Regensburg für die Oberpfalz und Kelheim beobachtet ein schwindendes Vertrauen von Ostbayerns Unternehmen in die britische Politik. Je länger die Hängepartie anhalte, umso weniger könne dieses Vertrauen wieder aufgebaut werden, „welches vonnöten ist, um wieder Geschäftstätigkeiten nach UK zu befördern oder um dort zu investieren“.

„Für mich ist das Politikversagen pur – und das im Mutterland der Demokratie. Mittlerweile fehlt mir der Durchblick, was sie eigentlich wollen.“ Jürgen Kilger, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Niederbayern-Oberpfalz

Noch deutlichere Worte findet Jürgen Kilger, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Niederbayern und die Oberpfalz, über die Briten: „Für mich ist das Politikversagen pur – und das im Mutterland der Demokratie. Mittlerweile fehlt mir der Durchblick, was sie eigentlich wollen.“

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Ostbayerische Politiker plädieren für weichen Brexit

Ostbayerns EU- und Außenpolitiker plädieren – trotz spürbar strapazierter Geduld – mehrheitlich für einen geregelten Brexit. EVP-Fraktionschef Manfred Weber skizziert Verbindungen zu Großbritannien auf vielen Ebenen: Wirtschaft, Hochschulen, aber auch kulturelle Einrichtungen seien seit Jahrzehnten, wenn nicht sogar länger, eng verbunden. „Ein geregelter Austritt kann die drohenden Brüche zwar nicht ganz verhindern, aber doch deutlich den Schaden begrenzen.“

„Ein geregelter Austritt kann die drohenden Brüche zwar nicht ganz verhindern, aber doch deutlich den Schaden begrenzen.“ Manfred Weber, Fraktionsvorsitzender der EVP im EU-Parlament

Ismail Ertug, Amberger SPD-Politiker und für die Oberpfalz und Niederbayern im EU-Parlament, sieht auch im Falle eines weichen EU-Austritts noch offene Fragen: „Verbleibt Großbritannien in der Zollunion, verbleibt es im Binnenmarkt, unterliegt es der europäischen Rechtssprechung? Das sind verschiedene Levels eines weichen Brexits, die man jetzt noch nicht absehen kann“, sagt Ertug. Alles in allem aber sei ein geregelter Austritt deutlich besser für Unternehmen und Industrie. „Sie würden dann wissen: Wir fallen nicht ins Bodenlose.“

Am vergangenen Dienstag hatte das britische Unterhaus den straffen Zeitplan von Premier Johnson zurückgewiesen, mit dem dieser den Brexit noch bis zum 31. Oktober durchboxen wollte. Das Parlament besteht darauf, mehr Zeit für die Beratungen über das mehrere hundert Seiten starke Brexit-Gesetzes zu bekommen. Das Gesetz muss noch verschiedene Fachausschüsse im Unterhaus durchlaufen.

Ertug: Gefahr der Abwanderung von Unternehmen

SPD-Mann Ertug fordert Gleiches auch für das EU-Parlament ein: Auch hier müsse ausreichend Zeit sein, die möglichen Auswirkungen des Brexits gründlich abzuwägen. Aus sozialdemokratischer Sicht formuliert Ertug die „nicht unberechtigte Befürchtung“, dass das Vereinigte Königreich nach dem Austritt einen deutlich wirtschaftliberaleren Kurs einschlagen könnte. „Das würde der Europäischen Union schaden.“ Als mögliche Auswirkungen sieht er etwa eine Abschwächung von Arbeitnehmerrechten, gelockerte Steuergesetze und Klimaschutz-Auflagen oder eine Senkung der Energiekosten. „Das hätte zur Folge, dass Unternehmen dorthin abwandern könnten“, sagt Ertug.

„Wir sind in Bayern noch von der Rezession entfernt, aber der Brexit könnte ein weiterer Mühlenstein für unsere Wirtschaft sein.“ Ulrich Lechte, FDP-Bundestagsabgeordneter für Regensburg

Aus Sicht von Ulrich Lechte, FDP-Bundestagsabgeordneter für Regensburg und in Berlin als Außenpolitiker aktiv, wäre ein ungeregelter Brexit für die Region „das absolut Schlimmste“. „Einen Austritt ohne Abkommen darf es nicht geben.“ Da die bayerische Wirtschaft stark nach Großbritannien exportiere, sieht Lechte reale Arbeitsplätze in Gefahr. „Wir sind in Bayern noch von der Rezession entfernt, aber der Brexit könnte ein weiterer Mühlenstein für unsere Wirtschaft sein.“

Der komplette Text ist hier auf mittelbayerische.de zu finden (M*Plus).