Was in den Boomjahren versäumt wurde

Regensburgs Aufschwung erlahmt. Beim Regensburger Gespräch diskutieren wir, ob die Stadt nachhaltig gewirtschaftet hat.

Die Regensburger Politik konnte ihr Glück jahrelang nicht fassen, so gut ging es ihr, sagt Dr. Jürgen Helmes, wenn er auf die wirtschaftliche Entwicklung vergangener Jahre blickt. Die Stadtkasse war satt gefüllt, die Gewerbesteuer sprudelte, Regensburg konnte ohne Sorge investieren. „In den zurückliegenden Jahren gab es einen Boom, wir haben heute 25 Prozent mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Region als vor zehn Jahren“, sagt der Hauptgeschäftsführer der IHK Regensburg für die Oberpfalz und Kelheim. „Das kann nicht ewig so weitergehen.“

Wenn Helmes über das Früher spricht, dann hat er auch das Jetzt fest im Blick. Die Pointe seiner Aussage liegt in der Gegenwart: Denn heute ist die Stadtführung nicht mehr fassungslos vor Glück. Sie muss sich stattdessen mit sinkenden Einnahmen befassen.

Große Podiumsdiskussion in Regensburg

Ist Regensburgs Steigflug also vorbei? Muss sich die Stadt, die noch immer ein mehr als 700 Millionen Euro schweres Investitionspaket schnüren kann, tatsächlich auf dürre Jahre einstellen? Was bleibt für kommende Generationen? Diesen Fragen werden wir bei einer Podiumsdiskussion am Samstag, 19. Oktober, nachgehen. Bei der neunten Ausgabe der Regensburger Gespräche, die die Mittelbayerische gemeinsam mit dem Theater Regensburg organisiert, werden wir den Blick auch in die Zukunft werfen und kritisch hinterfragen, ob die Stadt ihr Wachstum nachhaltig gestaltet hat.

Neben Helmes werden Dieter Daminger, Wirtschafts-, Wissenschafts- und Finanzreferent der Stadt, Prof. Dr. Joachim Möller, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Uni Regensburg und früherer Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, Prof. Markus Emde, Inhaber der Professur für Entwerfen und Konstruieren an der OTH Regensburg, und der Internetunternehmer und Gastronom Phuc Huynh mitdiskutieren. Die Moderation übernimmt Berlin-Korrespondentin Jana Wolf.

Eine Kultur des Scheiterns einführen

Geht es nach Phuc Huynh, dann hat die Stadt in ihren Boomjahren zu sehr auf den Erfolg der großen, exportabhängigen Unternehmen gebaut, kleine und mittelständische Firmen aber vernachlässigt. „Die haben kein Sprachrohr, für die interessiert sich keiner.“ Er selbst hat vor 21 Jahren die Webhosting-Firma Huynh Communications gegründet, zu deren Kunden etwa Sport 1, Adidas oder die Gewerkschaft Verdi zählen. Daneben betreibt Huynh drei Lokale in Regensburg. Aus seiner Sicht muss die Stadt bessere Rahmenbedingungen für Gründer und Jungunternehmer schaffen. Dafür brauche es eine Kultur des Scheiterns: Nicht jeder Unternehmensstart gelinge von Anfang an, aber die Möglichkeiten und Strukturen müssen geschaffen werden.

„Das Normale, Alltägliche das spürt man in Regensburg überhaupt nicht. Das führt dazu, dass die Stadt sich ausverkauft, dass sie ihre Identität verliert.“ Prof. Markus Emde, Professur für Entwerfen und Konstruieren an der OTH Regensburg

Zu wenig Raum für Neues sieht auch Architekt und Stadtplaner Markus Emde, der seit 2008 eine Professur in Regensburg innehat und parallel Teil des Büros Brandlhuber+ in Berlin ist. Er liest seine Analyse am Stadtbild ab: Das alltägliche Leben werde zunehmend aus der Stadt verdrängt, die Stadt verkomme zum Touristenmagnet und Eventplatz. „Das führt dazu, dass die Stadt sich ausverkauft, dass sie ihre Identität verliert.“ Auch horrende Mietpreise würden das normale Leben aus der Altstadt verdrängen. Dadurch verschließe sich die Stadt für junge Ideen und Neuansiedlungen. „Es gibt keine Nischen, die man besetzen kann. Man kann nichts Neues kreieren.“ Am 19. Oktober soll es auch darum gehen, welche Impulse die Stadt nun braucht.

Hinweis: Die Besetzung des Podiums hat sich nachträglich noch geändert. Anstelle des Internetunternehmers Phuc Huynh hat Matthew Ulbrich, Co-Gründer und CEO des Live-Blog-Anbieters Tickaroo mitdiskutiert. 

Weitere Infos zu der Veranstaltung sind hier zu finden. 

Eine gute Stadt ist wie eine gute Party – die Leute bleiben länger als nötig, weil sie sich amüsieren. Was dieser Satz mit der Regensburg und der Diskussion zu tun hat, ist hier nachzulesen. 

Einen ausführlichen Bericht, wie es am 19. Oktober lief, und Bilder gibt es hier.