Klimaschutz ist die neue Gretchenfrage

In Klimafragen werden noch viel zu häufig Alibi-Debatten geführt. Höchste Zeit zum Umdenken. Bessern heute, als morgen.

Weniger Fleisch essen, stattdessen mehr Gemüse und Getreide, möglichst bio und regional kaufen, das Autofahren reduzieren, keine Inlandsflüge mehr, am besten nur noch gebrauchte Kleidung tragen – die Liste an Dingen, auf die man zur Verbesserung des Klimaschutzes achten und die man unterlassen sollte, ist lang. Und sie wird länger, je mehr die Debatte an Fahrt gewinnt. Der Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen ist zur Gretchenfrage unserer Zeit geworden. Man sollte besser sagen: zur Gretafrage. Sag, wie hältst du‘s mit dem Klimaschutz?

Ja, die Diskussionen sind oft aufgeladen und überhitzt, und ja, die Einschränkungen und der Verzicht, die dem Einzelnen abverlangt werden, greifen tief. Doch die Frage, um die es hier geht, ist nicht ob wir unser Verhalten ändern sollten, sondern wie wir das am besten tun. Das „Ob“ steht außer Frage: Die Böden, Wälder und Feuchtgebiete stehen weltweit unter enormem Druck. In vielen Regionen droht Wassermangel, es herrscht akute Waldbrandgefahr, der Permafrost schmilzt und Ernten sind vielerorts nicht mehr sicher. Die Auswirkungen des Klimawandels werden auch in der eigenen Region immer deutlicher sicht- und spürbar: Hitze, Trockenheit und Wetterkapriolen nehmen zu. Landwirte und Förster erleben die Folgen in ihren Gebieten jeden Tag hautnah. Dass sich etwas ändern muss, um diese besorgniserregenden Veränderungen in den Griff zu bekommen, steht fest. Besser heute, als morgen.

Der Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen ist zur ,Gretafrage’ unserer Zeit geworden: Sag, wie hältst du‘s mit dem Klimaschutz?

Der jüngste Sonderbericht des Weltklimarates (ICCP), veröffentlicht in der vergangenen Woche, gibt tiefe Einblicke in den Zustand der Erde und sie ernüchtern. 107 Forscher aus 52 Ländern haben wissenschaftliche Erkenntnisse zusammengetragen, die vor allem die Zusammenhänge zwischen Landnutzung und Klimawandel betreffen: Demnach tragen Land- und Forstwirtschaft derzeit knapp ein Viertel zum menschlichen Treibhausgasausstoß bei, etwa durch Waldrodungen. Die Erwärmung der Erde verbunden mit einer nicht nachhaltigen Landwirtschaft könne die Nahrungsproduktion beeinträchtigen und zu Knappheiten führen. Die Massentierhaltung trage dazu bei, den Klimawandel weiter zu beschleunigen, schreiben die Forscher. Zahl, Dauer und Intensität von Hitzewellen und Dürren würden noch weiter zunehmen, in vielen Regionen auch Extremregenfälle. All das ist keine Stimmungs- und Angstmache, sondern Befunde aus dem ICCP-Bericht.

Die Erkenntnisse der Wissenschaftler zeigen überdeutlich, dass es beim Klima längst um viel mehr als Fleischkonsum, Autofahren und Fliegen geht. Sie zeigen, dass Strategien gegen den Klimawandel, sollen sie denn wirksam sein, sich nicht in Einzelmaßnahmen erschöpfen dürfen, sondern dass es ein umfassendes Umdenken und Umhandeln braucht. Das Papier ist eine Mahnung an Politik, Wirtschaft, Landwirtschaft – und an jeden Einzelnen.

Der neue Sonderbericht des Weltklimarates ist eine Mahnung an Politik, Wirtschaft, Landwirtschaft – und an jeden Einzelnen.

Doch anstatt sich um des Pudels Kern zu kümmern, werden viel zu oft noch Alibi-Debatten geführt. Es wird dann darüber diskutiert, ob die Forderungen nach individuellem Verzicht zu sehr in die Freiheit des Einzelnen eingreifen; darüber, ob die Vehemenz, mit der die Fridays-for-Future-Aktivisten ihr Recht einfordern, angemessen ist; ob Greta Thunberg altklug und Lisa Neubauer zu radikal sind. All das mögen anregende Diskussionsthemen sein. Nur: Sie retten unseren Planeten nicht. Um nichts weniger als das geht es.

Ja, die Debatte ist überhitzt und moralisch aufgeladen. Aber verwundert das, bei einer so existenziellen Frage wie dem Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen? Nein. Das Problem ist viel mehr, wenn weiterhin am Thema vorbeidiskutiert wird. Deswegen lohnt es sich für jeden Einzelnen, sich der Gretchenfrage zu stellen. Besser heute, als morgen.

Der Leitartikel ist hier auf mittelbayerische.de zu finden. 

Foto: stephane_p, Frankreich