Baustelle Bundestag und spitze Worte

Was passiert, wenn der Bundestag tagt, aber im Plenarsaal renoviert wird? Das Parlament muss umziehen. Dabei ging’s hoch her. 
Teil 2 der Poli-Kolumne „Berliner Lüfterl“

An diesem Mittwoch musste sich der Deutsche Bundestag gerade machen. Die sonst unter der Kuppel des Reichstages im Halbrund angeordneten Sessel, auf denen die Abgeordneten des Parlaments üblicherweise debattieren und streiten, waren diesmal in schnurgeraden Reihen angeordneten. 709 Stühle in Reih und Glied. Denn: Der Plenarsaal ist derzeit eine einzige Baustelle. Dort wird renoviert und umgebaut, keine Stühle weit und breit. Um nicht auf dem Boden sitzen zu müssen (so viel Berührung mit der Basis muss dann doch nicht sein), wichen die Parlamentarier ins benachbarte Paul-Löbe-Haus aus. Und weil das Gebäude einem langen Schlauch gleicht, in dem kein Platz für rund geschwungene Sitzreihen ist, mussten die Abgeordneten alle geradeaus blicken. Wer dem politischen Gegner einen bösen Blick zuwerfen wollte, musste sich verbiegen.

AKK ist jetzt neue IBuK

Gerade machen musste sich dagegen Annegret Kramp-Karrenbauer. Rücken durchgedrückt, Schwurhand erhoben – so leistete die neue Verteidigungsministerin ihren Amtseid. In seinem typischen, badischen Pragmatismus nahm Bundestagspräsident Wolfgang Schäule ihr den hohen Eid ab: „Frau Bundesministerin, sie haben den notwendigen Eid geleistet.“ AKK ist jetzt also die neue IBuK (Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt).
Neuer Ort, neues Amt – da kann man schon durcheinander kommen. Der CDU/CSU-Fraktion ist prompt ein peinlicher Schnitzer passiert. Auf Twitter verbreitete sie ein Zitat aus Kramp-Karrenbauers Regierungserklärung und legte ihr diese Worte in den Mund: „Halte an den #NATO-Zielen fest: Bis 2024 1,5 % des Haushaltsbudgets für Verteidigungszwecke… .“

Da kam einiges durcheinander: Denn das NATO-Ziel beträgt zwei Prozent und es geht um den Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP), nicht am Bundeshaushalt. Deutschland hat der NATO bis 2024 einen Anteil von 1,5 Prozent am BIP zugesagt. Ehe die Fraktion den Fehler korrigierte, hatten er längst Runde gemacht. Der SPD-Abgeordnete Fritz Felgentreu frotzelte: „Eine so starke Absenkung der Verteidigungsausgaben zu fordern, hätte ich nicht mal der Linken zugetraut.“ Der Verteidiungsetat liegt derzeit bei 12,1 Prozent des Haushalts. In Euros: 43,2 Milliarden. Den Linken ist das zu viel.

Einer ist für Frotzeleien zuständig

Für Frotzeleien ist eigentlich der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs zuständig. Über die neue Verteidigungsministerin sagte er nach deren Ernennung: „Mir tut die Bundeswehr leid.“ Kurz vor der Vereidigung legte Kahrs nach: Er hätte sich eine neue Ministerin gewünscht, die dieses Amt gerne annehme, „und es nicht nur genommen hat, weil man jetzt dringend etwas braucht, weil man als Parteivorsitzende nicht so toll war“. Das sitzt. Für die Vereidigung ist Kahrs dennoch von seinem Sommerurlaub auf einer Nordsee-Insel nach Berlin angereist. Das ließ er alle Welt via Twitter wissen und teilte Bilder von sich in kurzen Hosen am Strandkorb. Nach der Sondersitzung reiste Kahrs direkt wieder nach Wangerooge zurück. In Berlin dürfte das manch einen freuen.

Die Kanzlerin macht sich gerade

Klare Kante zeigte dieser Tage auch die Kanzerlin. Angesprochen auf die rassistischen Aussagen von US-Präsident Trump gegenüber farbigen Demokratinnen sagte Merkel bei ihrer Sommerpressekonferenz: „Ich distanziere mich davon entschieden und fühle mich solidarisch mit den drei attackierten Frauen.“ Es waren sogar vier. Trump hatte Alexandria Ocasio-Cortez, Rashida Tlaib, Ilhan Omar und Ayanna Pressley aufgefordert, sie sollten „dahin zurückgehen, woher sie gekommen sind“. Alle vier sind US-Bürgerinnen, drei von ihnen wurden in den USA geboren. Die Kanzlerin fand dazu nun ungewöhnlich deutliche Worte. Kurzum: Sie machte sich gerade.

Ralf Mützenich, kommissarischer SPD-Fraktionsvorsitzender, wurde vor den Abgeordneten im Paul-Löbe-Haus noch deutlicher. Er sprach von einem „Ras25sist im Weißen Haus“, der sich durch „Unberechenbarkeit und Egoismus auszeichnet“. Der Applaus war groß. Nach dieser ereignisreichen Sondersitzung wurden die Stuhlreihen direkt wieder abgebaut. Um es in Schäubles badischem Pragmatismus auszudrücken: „Isch over.“

Die gesammelten „Berliner Lüfterl“-Kolumnen gibt’s hier auf mittelbayerische.de!

Veröffentlicht in Blog