Aufstehen und bewegen

Die neue Sammlungsbewegung aus den Reihen der Linken ist vielversprechend – selbst wenn man kein Linker ist. Demokratie lebt von Veränderung und Erneuerung.

Die Arbeit einer Reihe deutscher Politiker war in den zurückliegenden Wochen und Monaten eine ernüchternde Angelegenheit. Man erlebte Machtbesessene, die an Posten klammern und Veränderung blockieren. Verbissene, die parteiinterne Konflikte hochpeitschen. Irrlichternde, die mit prügelharter Wortwahl sensible Probleme anstacheln. Nervöse, die trotz mieser Umfragewerte absolute Mehrheiten erzwingen wollen. Zu allem Überfluss die flirrende Hitze. Man gewinnt nicht den Eindruck, hier seien Politiker am Werk, die einen kühlen Kopf bewahren und frische Ideen vorantreiben. Es sieht nach Stagnation statt nach Veränderung aus. Nach Stillstand statt nach Aufbruch. In dieser Zeit kommt die neue Bewegung von Sahra Wagenknecht und ihrem Mann Oskar Lafontaine mit dem programmatischen Namen „Aufstehen“ gerade recht. Man muss kein Linker sein, um aus dieser „Sammlungsbewegung“ neue Hoffnung zu schöpfen.

Wagenknecht und Konsorten wollen erreichen, „dass die Menschen sich keine Politik mehr gefallen lassen, die sich gegen ihre Interessen richtet“, wie die Linke-Fraktionschefin im „Spiegel“ sagt. Sammlungsbewegung deswegen, weil sich das Format an alle richtet, die „sich eine Erneuerung des Sozialstaats und eine friedliche Außenpolitik wünschen“, so Wagenknecht – Parteibuch hin oder her. Diese Bewegung, die am 4. September starten soll, ist eine vielversprechende Neuerscheinung auf dem Polit-Parkett. Nicht, weil sie von Linken stammt, sondern, weil sie Veränderung darstellt.

Natürlich ist die Idee einer Bewegung, die aus einer Partei heraus gegründet wird, nicht neu. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat es mit seinem proeuropäischen „En Marche“ vorgemacht, im linken Lager Bernie Sanders in den USA oder Jeremy Corbyn in Großbritannien. In Deutschland sind derartige Beispiele bislang schwer zu finden oder, kaum entstanden, wieder versandet. Aber auch hierzulande tut Bewegung im Parteienspektrum not. „Aufstehen“ lässt sich als Signal verstehen, es nicht Rechten zu überlassen, sich als Kämpfer gegen das Establishment zu inszenieren. Und noch einmal: Man muss kein Linker sein, um dieses Signal zu begrüßen.

Auf der Webseite der Bewegung www.aufstehen.de, die am 4. August online ging, kommen einfache Menschen in emotionalen Videos zu Wort. Landschaftsbauer Wilko wünscht sich bessere Bezahlung und Zukunftsperspektiven im Handwerk. Die pensionierte Friseurin Margot klagt über eine zu kleine Rente. Studentin Jenny sorgt sich um die Vormacht großer Konzerne, die kleine Unternehmen vom Markt verdrängen. Das Signal von „Aufstehen“: Wir sorgen uns um deine Sorgen. Man mag die Online-Aufmachung als PR-Coup abtun. Doch der Ansatz einer Politik, die sich an Bürgerinteressen orientiert, die zuhört und eine Plattform bietet, ist im Kern gut. Es macht Hoffnung auf eine Politik, die nicht von Partei- und Machtinteressen zerrieben wird.

Politische Bewegungen dieser Art zeigen etwas Grundsätzliches auf: dass Demokratie – auf Wählerseite –nicht mit einem Kreuzchen am Wahltag abgetan ist; und dass es – auf Politikerseite – nicht damit abgetan ist, sich des Wählers solange anzunehmen, bis der sein Kreuzchen gemacht hat, um sich danach wieder eigenen Machtinteressen zu widmen. Solche Bewegungen können aufzeigen, dass Demokratie ein Prozess ist, der von Veränderung und Erneuerung lebt; dass es Gestaltungsspielraum auch jenseits des institutionellen, parteipolitischen Rahmens gibt. Auch darin macht die Bewegung Hoffnung.

Sahra Wagenknecht bleibt konkrete Inhalte noch schuldig. Auch ihre bisherige Anhängerschaft, deren bekannteste Vertreter mit der Grünen Antje Vollmer und dem SPD-Abgeordneten Marco Bülow nicht sonderlich bekannt sind, lässt Luft nach oben. An den Inhalten, wie am Potenzial zu mobilisieren, wird sich „Aufstehen“ am Ende messen lassen müssen – ganz zu Recht. Bis dahin darf man – mitten im heißen, zermürbenden Polit-Sommer – auch mal sagen: Gute Idee gehabt!

Hier geht’s zum Leitartikel auf mittelbayerische.de.