Das erste Mal an der Wahlurne

Anna Koller und Niklas Reinhold geben bei der Landtagswahl erstmals ihre Stimme ab. Ich begleite sie bis zum 14. Oktober.

Es wird ihr erstes Mal sein. Anna Koller und Niklas Reinhold machen sich Monate vorher schon Gedanken über ihre große Premiere. Muss ich mich vorbereiten? Wie soll ich mich entscheiden? Die Rede ist vom Wählen. Anna und Niklas, beide 17 Jahre alt, werden rechtzeitig zur Landtagswahl in Bayern am 14. Oktober volljährig sein und zum ersten Mal an die Wahlurne treten. Sie werden Kreuzchen auf dem Erst- und Zweitstimmzettel machen und jener Meinung Ausdruck verleihen, die sie sich über Monate gebildet haben. Die Mittelbayerische begleitet die beiden Erstwähler in dieser Zeit. Für die erste Begegnung treffen wir Anna und Niklas getrennt voneinander: Anna in einem Café in der Regensburger Altstadt, im Hintergrund dudelt Radio-Musik und klappert Geschirr. Niklas in einem kahlen Konferenzraum bei Continental, er konnte sich in der Arbeit eine Pause für das Gespräch freischaufeln. Wir sprechen über politische Themen, die die beiden unmittelbar betreffen, über Lebensziele und Zukunftswünsche, über ihr Bild von Bayern, und darüber, was sie von Politikern erwarten.

Auf den ersten Blick haben Anna und Niklas kaum mehr gemeinsam als dem Alter und dem Wohnort in der Nähe von Regensburg. Anna geht noch zur Schule und bereitet sich auf die bevorstehenden Abiturprüfungen vor. Niklas macht seit eineinhalb Jahren eine Ausbildung zum Automotive Softwareentwickler und spielt mit dem Gedanken, sich später einmal selbstständig zu machen.

Zwei Gleichaltrige, zwei verschiedene Leben

Anna treibt das Bildungssystem um, sie kritisiert das achtjährige Gymnasium (G8), das sie am Regensburger Werner-von-Siemens-Gymnasium durchlaufen hat. Niklas spricht über öffentlichen Nahverkehr und ärgert sich, dass er zur Zeit bis zu zwei Stunden im Bus sitzt, um vom Wohnort in Regensburg Winzer zum Arbeitsplatz bei Continental im Stadtosten zu kommen. Anna graut es besonders vor dem Mathe-Abi, ihre Stärke liegt in Deutsch und Englisch. Niklas hat seine Ausbildung gerade deswegen gewählt, weil sie Mathematisches und Programmieren verknüpft. Zwei Gleichaltrige, zwei verschiedene Leben. Je länger man sich aber mit ihnen unterhält, desto mehr werden Schnittmengen deutlich.

Das Thema Wohnen spielt für beide 17-Jährigen eine große Rolle. Anna wohnt bei ihren Eltern in Wenzenbach im nördlichen Landkreis. Nach dem Abitur möchte sie ein Jahr Pause machen und die Zeit zum Reisen nutzen. Danach will sie studieren, am liebsten in Regensburg, und von zuhause ausziehen. Anna zieht es in die Stadt, „sonst brauche ich ein Auto“, sagt sie. Das will sie vermeiden. Ihre Sorge ist, auf dem angespannten Wohnungsmarkt in Regensburg überhaupt eine Wohnung zu finden. Über die Miete muss sich die Abiturientin allerdings keine Sorgen machen: Ihre Eltern werden das Studium finanzieren. „Ich habe echt das Glück, dass meine Eltern das übernehmen können“, sagt Anna.

Gemeinsam und günstig Wohnen

Auch Niklas wohnt noch bei den Eltern in Winzer. Er möchte „früher oder später“ ausziehen und am liebsten eine Wohngemeinschaft mit Freunden gründen. Es geht ihm um das Miteinander, aber auch ums Geld. Denn eine eigene Wohnung in Regensburg sei ihm zu teuer. „Ich würde gerne außerhalb der Stadt wohnen, wo es leise ist“, sagt er. „Außerdem ist es auf dem Land billiger.“ Dass die Mieten nicht weiter steigen, ist aus Sicht des 17-Jährigen Aufgabe der Politik. Er fordert konkret: Die Mietpreisbremse weiter anziehen.
Um auch auf dem Land flexibel zu sein, will Niklas sich nach bestandener Führerscheinprüfung ein Auto kaufen. Am liebsten ein Elektroauto. Er wünscht sich, dass E-Mobilität stärker gefördert, Ladestationen ausgebaut und mehr Kaufanreiz geschaffen werden. Im Gegenzug schlägt der 17-Jährige, der seine Ausbildung wohlgemerkt bei einem Automobilzulieferer macht, höhere Steuern auf Diesel- und Benzin-Fahrzeuge vor. Das befeuere nicht nur den E-Ausbau, sondern sei auch gut für die Umwelt. Aus seiner Sicht sollte es auch Diesel-Fahrverbote geben. „Das schadet zwar dem Einzelnen, aber es bringt etwas für die Umwelt.“ Dieses Ziel hängt Niklas höher als den finanziellen Nachteil, der den Einzelnen treffen könnte.

Erhalt der Heimat als politische Aufgabe

Umweltschutz ist auch Anna ein großes Anliegen. Sie liebt es, in der Natur zu sein, und schwärmt von der Landschaft rund um Wenzenbach. Anders als Niklas verbindet die Abiturientin den Schutz der Umwelt mit einem Heimatgefühl.„Zuhause ist für mich einfach Natur und diese Umgebung.“ Diese Heimat zu erhalten ist aus Annas Sicht auch eine politische Aufgabe – und zwar die des Heimatministeriums. Sie sieht das neue Bundesministerium unter Horst Seehofer genauso in der Pflicht wie das bayerische Heimatministerium, das bereits 2014 in Nürnberg eingerichtet wurde. „Wir haben so viel Natur, das finde ich wunderschön. Das macht Bayern auch aus.“

Trotzdem vertritt Anna keinen ,So wie’s ist, soll’s immer bleiben‘-Konservatismus. Die 17-Jährige wägt ab: Man müsse eine Balance finden zwischen Bewahren und Verändern.
„Für mich ist es völlig ok, wenn eine Moschee gebaut wird. Aber wenn etwas von unserer bayerischen Kultur verändert wird oder verloren geht, dann ist es an einem schwierigen Punkt angekommen.“

Niklas ist das Bewahren bayerischer Traditionen wichtig. Er nennt Trachten, Dult, Oktoberfest und Bierbrauen. Auch das Christentum fügt er in diese Reihe: eine Tradition, die ihm besonders bewahrenswert erscheint. „Das Christentum hat gute Richtlinien und Werte. Ich bin nicht gläubig, aber es gehört zu Bayern“, sagt der Azubi. Er selbst ist weder getauft noch gehört er einer anderen Religion an.

Das Fremde nicht ausgrenzen

Das Bewahren habe aber auch eine Kehrseite, meint Anna: die Gefahr, dass man durch den Schutz der bayerischen Kultur das Fremde ausschließt, dass man kulturelle Einflüsse von außen verhindert, indem man das Eigene zu sehr abriegelt. Deswegen solle man aus ihrer Sicht die Heimat im Inneren schützen, ohne fremde Menschen dabei auszugrenzen oder zu diskriminieren. An diesem Punkt ist man bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik angekommen, bei der Anna und Niklas sehr ähnliche Positionen vertreten.
Neue Einflüsse zulassen

Beide Erstwähler sind der Meinung, dass noch mehr politische Anstrengung in die Integration von Flüchtlingen fließen sollte. Anna sagt, sie habe keine Angst, dass die bayerische Kultur durch Zuwanderer verloren gehe. „In allen Bereichen, egal ob Industrie, Technik oder auch Kunst, ist es eine Bereicherung, wenn neue Ideen aus anderen Ländern dazukommen“, sagt sie. „Wenn wir unsere Türen offen lassen, damit Neues aus anderen Ländern dazukommen kann, können wir uns viel mehr entwickeln.“
Niklas fährt regelmäßig zur Berufsschule nach Darmstadt. „Dort sind mehr Flüchtlinge als Deutsche zu sehen“, sagt er. Diese Beobachtung nimmt er zum Anlass, eine bessere Verteilung der Zuwanderer auf alle Städte und Regionen Deutschlands zu fordern. Bayern stellt er in Sachen Integration ein gutes Zeugnis aus. „Ich finde, wir sind auf einem guten Weg.“

Diesen Text gibt es inklusive Video auch hier auf mittelbayerische.de.