Mit Technologie bis in den Tod

Chatbots und Netz-Klone imitieren Tote, Algorithmen berechnen die Lebenserwartung und steuern autonome Autos im Notfall. Klingt makaber? Stoppen lässt sich die Entwicklung nicht.

Roman Mazurenko starb im November 2015. Der junge Russe wurde 34 Jahre alt. Ein Auto erfasste ihn, als er in Moskau eine Straße überquerte. Er kam ins Krankenhaus. Und überlebte nicht.

So klar und knapp diese Sätze auch sind – die Menschen, die Roman am nächsten standen, konnten sie nicht verstehen. Eugenia Kuyda, Romans beste Freundin, wollte sie auch nicht verstehen. Sie hatte Fragen, die sie Roman noch stellen wollte. Dinge, die sie ihm sagen wollte. Kuyda ist Programmiererin. Sie hatte Erfahrung darin, Systeme zu entwickeln, die dem Menschen Fragen beantworten. Welches Restaurant am Abend freie Plätze hat, zum Beispiel. Warum also nicht ein System programmieren, das Fragen zu Roman beantwortet? Besser noch: Roman selbst antworten lassen.

Der echte Roman stirbt, ein künstlicher Roman wird geboren

Kuyda entwickelte einen Chatbot, der Roman täuschend echt imitiert. Sie trainierte das intelligente Programm mit Tausenden Textnachrichten, die Roman zu Lebzeiten geschrieben hatte. So wurde das System immer intelligenter – und dem menschlichen Vorbild immer ähnlicher. Heute kann Kuyda ihm Nachrichten schreiben: „Wie geht’s dir, Roman?“. Und Roman antwortet: „Mach’ dir keine Sorgen, alles ist okay.“ Mit dem Tod des echten Roman wurde ein künstlicher Roman geboren.

Es ist an sich nichts Neues, dass der Mensch mithilfe der Technologie versucht, das Trauern zu erleichtern oder das Leben zu verlängern. Auch unzählige Science-Fiction-Filme wie „Alien – Die Wiedergeburt“ oder „A.I. – künstliche Intelligenz“ entwerfen kühne Visionen von Robotermenschen und Klonen. Neu ist allerdings die Dimension des Machbaren.

Ein Tribut an den toten Freund

Es mag makaber klingen, wenn ein Mensch den geliebten Freund nach dessen Tod durch einen Chatbot ersetzt. Andererseits: Hat die Technologie nicht in dem Moment eine Berechtigung, in dem sie Menschen hilft, mit etwas Unbegreiflichem wie dem Tod umzugehen? Wiegt nicht die Stütze in der Trauer schwerer als das Unbehagen an der Technik? „Ich habe damals viel in unseren Textnachrichten gelesen und es war der beste Weg für mich, seine Anwesenheit wieder zu spüren“, sagte Eugenia Kuyda der US-amerikanischen „Financial Times“. Der Chatbot sei ein Tribut an ihren toten Freund, so seine Macherin.

Auch das US-Unternehmen Intellitar reizte aus, was machbar ist. Intellitar stand für „Intelligent Avatar“ und wollte im Netz ein naturgetreues Abbild eines Menschen schaffen. Das Unternehmen machte 2012 zu – nicht wegen Todes, sondern wegen Streitigkeiten über die Technologie. Bis dahin entwickelte es Avatare, die dem Nutzer in Charakter, Aussehen, Stimme und Bewegungen absolut gleichen sollten. Stirbt ein Mensch – und hat er seinen Netz-Klon zu Lebzeiten gut gepflegt – können seine Lieben weiter mit ihm kommunizieren. Dem Intellitar-Gründer Don Davidson ging es darum, ein lebendiges Vermächtnis zu schaffen, einen „digitalen Klon, wenn Sie so wollen“, sagte er in einem Interview. Virtuell unsterblich, verfügbar auf alle Ewigkeit.

Der Computer sagt den Todestag voraus

Das ist eine wahnwitzige Idee, die spätestens mit dem Firmen-Aus begraben ist. Anders steht es um einen Algorithmus, der die verbleibende Lebenserwartung schwer kranker Menschen vorhersagen kann. Das System ist gerade erst entstanden, und zwar am Stanford Health Care Center. Die Arbeit einer Forschergruppe der Universität Stanford zielt darauf ab, zu erkennen, wie wahrscheinlich der Tod eines Patienten innerhalb der nächsten drei bis zwölf Monate ist. Nicht der Arzt gibt seine Einschätzung über den Sterbezeitpunkt ab, sondern der Computer.

In dem Text taucht außerdem das fragwürdige Geschäftsmodell von Aspire Health und der Death Algorithm auf, der bald schon in autonomen Autos Entscheidungen über Leben und Tod treffen könnte. Weiter geht es hier!