Glück am Donauufer

Weil die Fähre in Eining nicht fährt, kommt MZ-Reporterin Jana Wolf nicht über den Fluss. Durch Zufall trifft sie den Fährmann und den Biergartenwirt. Sie erzählen offenherzig, was den Ort speziell und ihren Job einzigartig macht.

Das Navigationssystem führt den ortsunkundigen Fahrer manchmal an sonderbare Orte. In enge Gässchen in der Regensburger Altstadt zum Beispiel, durch die nicht einmal der schlankste Wagen passt. Oder zum Schloss Neuschwanstein, wo man doch eigentlich nach Augsburg will – so sorgte kürzlich eine Touristin für Schlagzeilen. Oder aber das Navi führt MZ-Reporter mitten in die Idylle. So kam es: Auf dem Weg nach Hienheim an der Fähranlegestelle in Eining im Landkreis Kelheim gestrandet, fährt die Fähre nicht. Keine Brücke weit und breit. Die Fähre nimmt erst ab Karfreitag nach der Winterpause wieder den Betrieb auf. Aus dem Ärger über die Navi-Technik aber wird schnell eine glückliche Begegnung.

Victor Beisel hat sich eine große Schneeschaufel geschnappt und schippt den Winter von der Fähre. Mit seiner neongelben Arbeitsjacke und orangen Hose leuchtet der Fährmann schon aus der Ferne. Kommt man näher, strahlt er über das ganze Gesicht. „Hoffentlich wird der Sommer schön, dann kommen viele Gäste“, sagt er – mitten im winterlichen März.

Die Kälte kann ihm nichts anhaben

Victor Beisel lacht viel und laut und mit dem ganzen Körper. Gut eineinhalb Wochen hat er noch, bis er Ausflügler und Anwohner wieder trocken ans andere Donauufer transportieren wird. Von Temperaturen, die zum Wandern, Rad- oder Motorfahren einladen, ist nicht viel zu spüren. Die Kälte aber kann Victor Beisel nichts anhaben. Er stammt aus dem Norden Kasachstans, nahe der sibirischen Grenze. Nur der Wind, der kann dem Fährmann was. „Ab einem Wind mit 15 bis 20 Meter pro Sekunde kann ich nicht mehr fahren“, sagt er. Das Seil, an dem sein Gefährt über den Fluss geführt wird, könnte sich verheddern und zum Kentern führen. Außerdem würde die Strömung zu stark.
1994 kam Victor Beisel mit seiner Frau und seinem Sohn nach Deutschland. Acht Jahre arbeitete er in Sachsen als Arbeiter im Tiefbau. Nachdem er die Stelle wegen Jobkürzungen verlor, schulte er zum Tischler um, fand in Ostdeutschland aber keinen Job und zog mit seiner Familie nach Bayern – von Neustadt in Sachsen nach Neustadt an der Donau. Nach weiteren acht Jahren als Leiharbeiter bei BMW mit knappem Lohn fiel seine Anstellung der Finanzkrise zum Opfer. Es folgte eine dreijährige Befristung bei einem Automobilzulieferer – tja, und dann?

„In der Zeitung habe ich gelesen, dass Neustadt einen Fährmann sucht“, sagt der 58-Jährige. „Ich hab mich beworben und Glück gehabt.“ Ein lautes, offenes Lachen. Seit vergangenem Jahr ist Victor Beisel nun bei der Stadt Neustadt angestellt und tut zwischen März und Oktober an der Donau seine Dienste. Den Winter über arbeitet er im Bauhof. „Es gefällt mir. Im Sommer hat man hier Sonne, Wasser, frische Luft. Was will man mehr?“, sagt er. „Herrlich!“

Das beste Radler in ganz Bayern

Und dann gibt es noch einen anderen Grund, der die Arbeit hier so gut erträglich macht: das beste Radler in ganz Bayern. Schenkt man Victor Beisel Glauben, gibt es das nämlich im Biergarten „An der Fähre“ bei Wirt Werner Draxler. Der kommt aus dem Schankbereich nach draußen in den Schnee, ganz in Schwarz gekleidet, legt die Stirn in Falten und mustert den unangekündigten Besucher mit einer gewissen Skepsis.

Dass jemand über den Fluss will und vor verschlossener Fährschranke steht, das kommt öfter vor. Draxler schmunzelt, mal wieder ein Irrfahrer vor der Tür. Seltener ist, dass ein Besucher auf ein spontanes Gespräch hier bleibt, obwohl Fähre und Biergarten noch geschlossen haben. Auch der Wirt nimmt erst am Karfreitag wieder den Betrieb auf.

Die komplette Multimedia-Reportage aus der Serie „Angeklopft. Besuche in Ostbayern“ gibt es hier auf MZ-Stories.

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