Die WAA-Gegner von Wackersdorf waren beseelt von der Idee, Großes zu bewirken. Auch wenn der jungen Generation vorgeworfen wird, unpolitisch zu sein: Die Sehnsucht nach einer vereinten Bewegung lebt.
Es gibt diese Sehnsucht, Teil einer Bewegung zu sein. Hand in Hand. Gemeinsam gegen den Rest der Welt. Die Sehnsucht nach einem ungebrochenen Idealismus, mit dem eigenen Handeln den Lauf der Dinge beeinflussen zu können.
Dieses Gefühl bringt Menschen dazu, gemeinsam auf die Straße zu gehen. Es hat Tausende Oberpfälzer vor 30 Jahren dazu angespornt, im Kampf gegen die Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in Wackersdorf jahrelang aufzubegehren. Es hat junge Menschen aus ganz Deutschland und Europa dazu veranlasst, im Sommer 2017 gegen den G20-Gipfel in Hamburg zu protestieren. Es treibt Pegida-Anhänger in Leipzig zu Montagsdemos, die ägyptische Jugend auf den Tahrir-Platz in Kairo, türkische Erdogan-Kritiker in den Gezi-Park in Istanbul. So unterschiedlich die Bewegungen in ihren Anliegen sind, so weit ihre politischen Ausrichtungen voneinander abweichen, haben sie doch eine Sache gemeinsam: Es ist das Gefühl, in einer Bewegung vereint zu sein.
Emotionaler Widerstand
Tocotronic hat dieser Sehnsucht 1995 einen eigenen Song gewidmet. „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ – Sänger Dirk von Lowtzow fleht, klagt, ruft diese Zeile in dem gleichnamigen Song in die Welt hinaus. „Und jede unserer Handbewegungen hat einen besonderen Sinn, weil wir eine Bewegung sind.“ Dazu dreckige Gitarrenriffs und blecherner Schlagzeuglärm. Das französische Autoren-Duo Albert Ogien und Sandra Laugier – er Soziologe, sie Philosophin – drücken es in ihrem Buch „Das Prinzip Demokratie“ nüchterner aus und sprechen von der „Emotionalität des politischen Engagements“. Egal ob im Song oder der wissenschaftlichen Monografie, die Aussage ist die gleiche: Politische Bewegungen werden nicht nur durch sachliche Anliegen zusammengehalten. Sie werden getragen und angespornt von einem Gefühl, das alle Anhänger teilen.
In der Oberpfalz hat der Widerstand gegen die WAA in Wackersdorf Geschichte geschrieben. Tausende Anti-Atomkraft-Gegner waren beseelt von der Idee, mit vereintem Engagement die Atomanlage im Taxöldener Forst verhindern zu können. Die Demonstranten bauten Hüttendörfer, hielten Andachten ab, schlossen Freundschaften. Vielleicht nicht gegen den Rest der Welt, aber sicher gegen die bayerische Staatsregierung. Der Feind stand fest: Franz Josef Strauß und sein Gefolge.
Vereint gegen einen Feind
Je öfter der damalige Ministerpräsident die WAA-Gegner „Chaoten“ oder „apokalyptische Narren ihrer eigenen Dummheit“ schimpfte, desto enger wuchsen die Widerständler zusammen. Der Feind in München bestärkte das Gemeinschaftsgefühl. Vereint wollten sie die verkrustete Obrigkeitshörigkeit der Oberpfalz durchbrechen und frischen Wind verströmen.
Spricht man heute mit WAA-Zeitzeugen, dann ist noch immer der Widerstandsgeist spürbar, der in ihnen steckt. Fragt man sie aber, was von dem Protestwillen in der jungen Generation weiterlebt, sind die Einschätzungen ernüchternd. Die Jugend von heute fällt beim Eignungstest zum Widerstand durch – zumindest, wenn es nach den WAA-Gegnern geht.
Also kein vereinter Kampfeswillen mehr? Kein Idealismus? Alles Geschichte? Nein, so einfach geht die Rechnung nicht auf. Der jungen Generation pauschal mangelnden politischen Einsatzwillen vorzuwerfen, ist zu kurz gedacht.
Der komplette Essay über den Widerstandsgeist vor 30 Jahren und heute ist hier zu finden.
Begleitend zu den Texten über den WAA-Widerstand fand eine Podiumsdiskussion mit Peter Gauweiler, Altlandrat Hans Schuierer und MZ-Redakteur Heinz Klein statt, die ich moderiert habe. Hier steht, wie der Abend verlief.