Haben wir überhaupt die Wahl?

Am 24. September sollen die Wähler entscheiden. Doch Unterschiede zwischen Parteien verwischen. Merkels Taktik geht auf.

Wenn am 24. September die Wahllokale öffnen, dann kommt ein demokratisches Grundrecht zum Tragen. Die Bürger können sich mit ihrer Stimme an der Regierungsbildung in ihrem Land beteiligen. „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, steht im Grundgesetz, Artikel 20, Absatz 2. Die Wähler bestimmen, welche Politiker und Parteien für ihre Interessen im Bundestag eintreten sollen.

Diese Teilhabe ist ein wichtiger Bestandteil unserer Demokratie. Aber haben wir wirklich die Wahl? Sind die Alternativen, zwischen denen wir wählen können, echte Alternativen? Oder sind sich die etablierten Parteien in zentralen Fragen so nahe, dass keine Unterscheidung möglich ist?

Konturen verwischen

Kritiker bemängeln, dass die Wahlmöglichkeiten fehlen. Sie vermissen die Auseinandersetzung im Parlament, den Streit um Themen, das Ringen um Argumente. Markus Linden, Politikwissenschaftler an der Universität Trier, schrieb der großen Koalition bereits 2012 eine „undurchschaubare Ergebniseinigkeit“ zu. Demnach sei nach außen nicht mehr erkennbar, für welche Positionen die einzelnen Koalitionspartner stehen. Für Wähler verwischten so die Konturen der Parteien. Linden betont: „Nur bei Bereitsstellung solcher Handlungsalternativen werden Wahlen auch dem Begriff der ‚Wahl’ gerecht.“

Journalisten wie Heinrich Wefing (Die Zeit) beobachten den angeblichen Gleichklang der Parteien mit Unbehagen. Wefing schrieb Anfang Juli: „Wo fast jede Partei mit jeder anderen koalieren kann und dies auch tut, formell oder faktisch, erlischt der Streit, verwischen die Unterschiede.“ Gegen diese „Verklumpung der Mitte“ helfe nur ein Ende der großen Koalition.
Kritik trifft die Bundeskanzlerin

Totschweigen und aushebeln

Die Beschwerde über die Konturlosigkeit der Parteien vernimmt man an allen Ecken und Enden der deutschsprachigen Presselandschaft, von der linken taz über die konservative Welt bis zur liberalen Schweizer NZZ. Häufig finden Kritiker den Grund des Übels im Regierungsstil der Bundeskanzlerin. Angla Merkel schweige kontroverse Themen bewusst tot und heble damit den politischen Gegner aus. Der Vorwurf ist nicht neu und kommt nicht nur von Journalisten: 2009 bezeichnete Matthias Jung, Chef der Forschungsgruppe Wahlen, diese Merkel-Taktik als „asymmetrische Demobilisierung“. Spätestens seit SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz der Kanzlerin Ende Juni einen „Anschlag auf die Demokratie“ vorwarf, ist der Streit über die Asymmetrie-Taktik auch im diesjährigen Wahlkampf wieder hochgekocht.

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