Moderne Systeme können heute schon Krankheiten wie Krebs erkennen. Regensburger Forscher wollen sie besser machen als Ärzte.
Christoph Palm bringt Computern das Sehen bei. Die Maschinen sollen lernen, Krankheiten beim Menschen frühzeitig zu erkennen. Ihr Lehrer will ihnen dafür einen Adlerblick antrainieren: schnell, scharf, treffsicher. Sie sollen sogar Krebs diagnostizieren können. Seine Maschinen sollen besser werden als jeder Arzt.
Christoph Palm ist kein Lehrer im klassischen Sinne. Er ist Professor für Medizinische Bildverarbeitung an der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) Regensburg und leitet das Informatiklabor ReMIC, Regensburg Medical Image Computing. Derzeit tüftelt er an Computerprogrammen zur Diagnose von Speiseröhrenkrebs. Die Systeme sollen die Krankheit eigenständig erkennen können. „Technisch nähern wir uns jetzt schon der Qualität, die ein Arzt liefern kann.“
Maschine sagt: gesund oder krank
In der Lernphase, dem Sehtraining, legt er den Computern Bilder von der Innenwand von Speiseröhren vor, die mit einer Endoskopie, also einer Untersuchung menschlicher Organe mit einer kleinen Kamera, gewonnen wurden. Es sind Bilder von gesunden Speiseröhren und solchen, die Anzeichen einer Krebserkrankung zeigen. Die Aufnahmen werden vorab jeweils einer Kategorie zugeordnet: gesund oder krank. Sie sind das Datenmaterial, aus dem die Computer lernen. Die Methode bezeichnen Fachleute als Deep Learning: ein maschineller Lernprozess mit Mitteln der künstlichen Intelligenz. Je mehr Bilder Christoph Palm seinen Maschinen beim Training vorlegt, desto präziser wird später deren Diagnose sein.
Dass Bilder von Krankheiten automatisch oder semi-automatisch analysiert werden, ist nichts Neues. Medizininfomatik-Labore arbeiten seit Langem mit solchen Methoden. Neu ist, dass die Maschinen lernfähig sind und dass sie Bilder als Ganzes erfassen können. Ein Arzt müsste endoskopische Aufnahmen am Ende nur noch durch den Computer jagen und der stellt eigenständig fest: gesund oder krank. Die Maschine wird zum Ratgeber des Arztes. Das zumindest ist die Vision von Forschern wie Christoph Palm. Seine Maschinen mit dem Adlerblick sind heute allerdings noch auf das Versuchslabor beschränkt. In den Praxis-Einsatz gibt der Lehrer sie noch nicht.
Menschliche Leistung ist die unterste Messlatte
Palm ist von der Leistung seiner Schüler überzeugt. Das war nicht immer so. Vor zehn Jahren hätte er noch gesagt, es sei das höchste der Gefühle, wenn eine Maschine so gut wird wie ein Arzt. „Heute sage ich: So gut wie ein Arzt es macht, das wird künftig unsere untere Messlatte.“ Die Fehlerrate der Deep-Learning-Systeme sei innerhalb von fünf Jahren rapide gesunken. Die sogenannte ImageNet Challenge, ein Wettbewerb zur Bildersuche im nicht-medizinischen Bereich, gilt unter Fachleuten als wichtiger Indikator des technischen Fortschritts. 2012 lag die Fehlerrate bei dem Wettbewerb noch bei 28 Prozent. Heute sind die Programme bis auf drei Prozent Abweichung genau. Diese rasante Entwicklung hat bei Palm zu einem Wandel geführt: Er ist vom Skeptiker zum Befürworter geworden.